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(Notiz: Für die Überschrift sollte ich mich schähmen)
Weder hat die Borussia eine neue Karriere als Boyband gestartet, noch satteln die Backstreet Boys auf Fußball um, nein, es geht im folgenden um einen der wenigen guten Autoren die Deutschland hat. Die Rede ist von Benjamin von Stuckrad-Barre. Fasziniert von seinem Namen und angefixt vom mtv Lesezirkel begab ich mich meiner Konsumentenpflicht getreu gestern in die große Aula der Ludwig-Maximilian-Universität zu München. Während ich auf meinem Platz auf den Beginn der Lesung aus seinem neuesten Werk wartete, füllen sich die Plätze neben mir mit auffällig begleitungslosen, aber wie sich herausstellen sollte, dennoch liierten Damen. Rechts und links flogen mir die Wortfetzen geradezu um die Ohren, und nötigten mich mitzuhören: "Meiner liest ja keine Bücher" - "Ja, meiner kuckt lieber Fußball" - "Uwe hat gesagt, er will nichts wissen von diesem Intelektuellenscheiße". "Das fängt ja gut an", dachte ich und wurde mir nicht ganz schlüssig, wem hier gerade ein Armutszeugnis ausgestellt wurde.
Aber zurück zum Text: Das Warten hatte ein Ende, der Saal verdunkelte sich und zu REMs "Imitation of life" bekam man einige von BvSBs Alltags- und Promifotos zu sehen. Alsbald betrat der Meister, in einem weißen Anzug, leicht overdressed, die Bühne. Applaus, Verbeugung, "Ist ja gut jetzt". Er wirft seine Reisetasche neben den (leicht übertrieben) mit rotem Samt bedeckten Tisch und veranstaltet während des Auspackens ein sehr sympathisches Chaos aus Zetteln, Büchern und CDs. Es täte ihm leid wegen der Verspätung, Rockstarallüren habe er nicht, aber es läge nicht an ihm und außerdem habe er in das Waschbecken pissen müssen weil es backstage kein WC gäbe. Dort habe er sich im Übrigen mit den Flugblättern des Abschlußfestes der Wirtschaftswissenschaftler beschäftigt und sei auf eine sehr interessante Diplomarbeit von Herrn Soundso gestoßen...
An dieser Stelle wird der süffisante Vortrag durch ein Quieken aus dem Publikum unterbrochen. Die eben noch quiekende, jetzt schon dunkelrot angelaufene junge Dame scheint Herrn Soundso näher zu kennen. "Traumsituation" folgert Benjamin und bittet die Quiekerin auf die Bühne. Ja, sie kenne ihn als Übungsleiter, nein sonst nichts weiter, bla bla bla. Frau Quiek wird alsbald genötigt sich doch mal backstage wegen des (nicht vorhandenen) WCs und des Waschbecken zu versichern. Der Authenzität wegen... ;) Mit einem Funkmikrofon berichtet sie aus dem Backstageraum und ißt Gürckchen.
Beiläufig erwähnt BvSB, er erhalte ständig Anrufe aus Berlin, weil dort ein Oasiskonzert stattfände, das wohl sehr toll sein solle. Prompt klingelt zwei Texte später sein Nokia Communicator. "Rocco ruft an", konstatiert Benjamin und hält das Mikrofon an die Hörmuschel. Verrauscht und euphorisch berichtet Rocco Clein vom wohl besten Konzert "wo es je gab". Im Laufe des Abends entwickeln sich Roccos folgende SMSe zum Running Gag: "Die Leute gehen Nüsse" - "Sie spielen unser Lied". Danke Rocco!
Neben den guten Texten aus "Deutsches Theater" liest BvSB auch ein Essay über Brahms und einen Zeit-Artikel von Mola Adebisi, der wirklich zum brüllen ist.
Fazit: Hat sich gelohnt. Von Stuckrad-Barre veranstaltete einen wunderbaren und mitunter herrlich chaotischen Abend in dessen Laufe er systematisch unsere Öffentlichkeitskultur zerlegt, analysiert und so widerlich darstellt, wie sie ist. Das Faszinierende: Er macht das so geschickt und intelligent, daß man ihm nicht böse sein kann und mitlachen muß. Selbst wenn er zum Abschluß dem Publikum zuruft:
"Wir müssen alle sterben!"
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